
Das rätselhafte Foto - vorsichtig datiert auf ca. 1912 bis 1914. Meine Großmutter (*1906) ist das "helle" Mädchen in der Mitte.
Ein vielleicht ganz banales altes Foto bietet Raum zu reichlich Spekulation. Die facebook-Freunde helfen beim Raten – aber es ist niemand mehr da, den man fragen kann.
Neulich brachte meine Mutter von Verwandten zwei große Umschläge mit alten Familienfotos mit – Schwarz-Weiß-Bilder aus der Generation ihrer Eltern und Großeltern. Die Familiengeschichte ist hinreichend dokumentiert, den (gründlich erforschten) Stammbaum dieses Zweiges meiner Familie aus Schmelz im Saarland kannte ich mal fast auswendig. Und so (er)kannte ich auch die meisten abgebildeten Personen, allerdings kannte ich viele der Bilder noch nicht. Mein Urgroßvater im Ersten Weltkrieg und davor, meine Oma bei der Feldarbeit, mein Opa im Zweiten Weltkrieg, Soldaten, Auswanderer, Familienfotos, Schnappschüsse bis in die 1950er.
Ein Foto faszinierte mich. Es zeigt meine Großmutter Maria (1906 – 1989) als kleines Mädchen mit einer Gruppe Kinder, möglicherweise ihrer Grundschulklasse. Mit auf dem Bild sind ein Priester und die damalige Schmelzer Lehrerin. Interessant wird dieses Bild durch drei Eigenheiten:
– zwei der Kinder, ein Mädchen und Junge haben ein schwarz geschminktes Gesicht.
– eins der Mädchen, ganz links im Bild, ist als Engel verkleidet – im weißen Nachthemd, mit Krönchen und Flügeln auf dem Rücken.
– sieben der insgesamt zwölf Kinder, meine Oma eingeschlossen, schauen gespannt, fast schon verängstigt, in die linke obere Bildecke, anstatt in die Kamera, wie es die übrigen Kinder und die Erwachsenen tun.
Meine Neugier war geweckt. Ich wollte wissen, was genau da los gewesen war. Meine Oma ist seit fast 23 Jahren tot, die konnte ich nicht fragen. Auch ihre Geschwister, fünf an der Zahl, von Jahrgang 1904 bis 1920, leben nicht mehr, ihre jüngste Schwester starb Ende 2010.
Den verängstigten Blick schiebe ich, der Einfachheit halber, auf die Sensation, die es in den 1910ern für eine Grundschulklasse bedeutet haben muss, fotografiert zu werden; wahrscheinlich noch mit einem Magnesiumblitz, der sich ungefähr in der Blickrichtung befunden haben könnte.
Aber wohin mit dem Engel und den zwei schwarzen Gesichtern?
Ich veröffentlichte das Bild auf facebook, erst via Instagram, dann nochmals in größerer Auflösung. Vielleicht hatte ja mein virtuelles Umfeld ein paar Ideen.
Und facebook spielte seine Stärken aus. Neben einigen flapsigen Bemerkungen („Der Zirkus war in der Stadt“, „Es sind Wolfskinder aus Südamerika“ und, unvermeidlich, „Wo hat der schwarze Mann in der Mitte seine linke Hand?“) entspannen sich schnell interessante Ansätze, unter anderem vorgebracht von einem brasilianischen Musiker, meinem ehemaligen Deutschlehrer, einem gelernten Soziologen und einem Trierer Kulturveranstalter.
Der interkulturelle Aspekt: